Shinrin Yoku Waldbaden

Shinrin Yoku Waldbaden

Shinrin Yoku Waldbaden
SHINRIN YOKU - RUHE UND ENTSPANNUNG IM WALD FINDEN

 

Stress im Alltag gehört heute für fast jeden zur traurigen Routine. Wir hetzen von einer Sache zur nächsten und streben danach, immer noch effizienter zu werden, um mehr zu leisten und mehr zu erwirtschaften. Das Leben ist vollgepackt mit Terminen und Aufgaben, die eigene Psyche und Balance bleiben hierbei oft auf der Strecke. Wir stellen unser eigenes Wohlbefinden hinter berufliche Erfolge, wundern uns dann aber, wenn wir ausgebrannt, leer und lustlos sind. Das Burnoutsyndrom ist in unserer von Leistung getriebenen Gesellschaft zu einer der großen Volkskrankheiten geworden –  nicht ohne Grund. Vielen Menschen fehlt schlichtweg der Ausgleich. Dabei gibt es zahlreiche Anleitungen und Techniken, um dem omnipräsenten Druck entgegenzuwirken.

Wer keine Lust hat, gleich sein ganzes Leben umzukrempeln, um ein bisschen runter zu kommen, versucht es vielleicht zum Einstieg mal mit Shinrin Yoku. Dafür braucht man nicht viel – außer etwas Zeit und einen Wald. Wie tief man dann ins Thema einsteigt, ist jedem selbst überlassen, denn Shinrin Yoku folgt keinen dogmatischen Regeln.

Moment. Shinrin- Was?

Yoga kennt jeder – Pilates vielleicht auch, aber Shinrin Yoku – wörtlich übersetzt „Wald(luft)bad“? In der Waldluft zu baden, bedeutet einzutauchen in die angenehme und unberührte Atmosphäre des Waldes; die frische Luft und den würzigen Duft der Erde in der Nase, das saftige Grün der Blätter und des Mooses vor Augen, den weichfedernden Boden unter den Füßen. In Japan wird Shinrin Yoku als Entspannungsform seit Mitte der 1980er Jahre als anerkannte Therapiemöglichkeit praktiziert. An japanischen Universitäten werden seit Jahrzehnten die positiven Effekte des Waldes auf Körper und Geist untersucht. Was hat es also auf sich mit der Heilkraft der Bäume?

Das gedämpfte Licht, die frische Luft und die Ruhe wirken stressreduzierend und stimmungsaufhellend. Japanische Forscher haben herausgefunden, dass dafür die Botenstoffe der Bäume, die sogenannten Terpene, verantwortlich sind.

Zudem konnten die Wissenschaftler den positiven Einfluss der Phytonzide auf die Anzahl und Aktivität der natürlichen Killerzellen des Immunsystems nachweisen. Um diese Parameter zu steigern, benötigen sie bestimmte Eiweißstoffe, deren Produktion durch die Wirkstoffe der Waldatmosphäre gesteigert wird. Der Zustand der erhöhten Aktivität der Killerzellen lässt sich übrigens bis zu sieben Tage nach dem Besuch des Waldes nachweisen.

Wissenschaftlich ist das Thema in Europa allerdings noch nicht ganz unumstritten – auch wenn japanische Waldmediziner damit recht haben sollten, ist noch nicht belegt, dass Eichen, Buchen und Birken dieselbe Wirkung haben wie die in Japan ansässige Flora. Aber soviel sei gesagt: Schaden tut ein Bad im Wald sicherlich nicht.

Der Wald tut dem Menschen sogar gut, darüber sind sich Wissenschaftler weltweit einig. Der Evolutionsbiologe Edward O.Wilson beschrieb in den 1980er Jahren, dass wir Menschen alle genetisch dazu bestimmt seien, die Natur zu lieben. Er prägte den Begriff „Biophilia“ und beschreibt damit die in unserer DNA verwurzelte Liebe zu allem Lebendigen. Wir fühlen uns im Wald zu Hause – das beruhigt den Geist.

Die Natur wirkt faszinierend auf den Menschen: sie stimuliert die Sinne, ohne sie dabei zu überfordern.

Menschen bevorzugen Landschaften, die evolutionsbiologisch gesehen Sinn machen. Bäume, auf die man klettern kann, bieten Schutz, Bäume, die Früchte tragen, liefern überlebenswichtige Nahrung, Bäume im Allgemeinen können zum Feuer machen genutzt werden und somit das Überleben sichern. Vielleicht sind das einige Gründe, die unsere Affinität zum Wald erklären. Es steckt uns also scheinbar alles noch in den Genen. Der Mensch hat ein existentielles Bedürfnis nach Natur.

 

Der Wald, Sehnsuchtsort deutscher Romantik, mag in den letzten Jahrzehnten zum Holzwirtschaftsraum verkommen sein – er bietet uns aber sehr viel mehr als nur Rohstoffe. Auch in unserer Sozialisierung spielt der Forst eine große, fast immer positive Rolle. Die meisten Menschen erinnern sich an schöne Walderlebnisse: Ein Spaziergang an einem goldenen Herbsttag oder das Pilzesammeln mit dem Großvater. Unsere Verbindung zur Natur ist da und war nie weg, in Zeiten der Techni- und Digitalisierung ist sie einfach ein wenig in Vergessenheit geraten, so scheint es. Wir leben zum größten Teil in Städten und nicht mehr auf dem Land – zumindest nicht mehr im Wald. Was also tun, um wieder zurück zu finden – zur Natur und zu dem, was in uns schlummert?

Die gute Nachricht für Großstädter: Selbst jeder Park oder Stadtgarten bietet die Möglichkeit, die Natur in den Alltag zu integrieren und somit wieder ein bisschen mehr zur Ruhe zu kommen. Wer so richtig in den Wald eintauchen will, fährt in den nahgelegenen Forst, raus aus der Stadt, und nimmt sich etwas Zeit. Oder verbindet das Waldbad sogar mit einem kleinen Urlaub: Auf der Ostseeinsel Usedom kann man den europaweit ersten staatlich anerkannten Kur- und Heilwald besuchen. Nahe Heringsdorf ist hier ein Areal mit therapeutischer Wirkung entstanden: drei gekennzeichnete Heilwaldwege, Infotafeln, ein Platz der Stille, Sensorik- und Motorikpfade sowie ein Kletterparcours laden dazu ein, einen entschleunigten Urlaub zu genießen.

In Zeiten der Selbstoptimierung ist es also ratsam, ruhig einmal die Bremse zu ziehen und sich dem Müßiggang zu widmen. Statt schnell und schwitzend durch den Wald zu rasen, lohnt es sich, die Zeit zu nehmen, die es braucht, um den ständigen Stresspegel herunter zu fahren; einfach einmal trödeln und durch das Grün schlendern wirken bereits Wunder. Man entdeckt ungeplant und überraschend zahlreiche Naturphänomene: Blüten-, Blätter- oder abstrakte Rindenformen, schillernde Farbtöne, mächtige Bäume oder eine Lichtung. Beim Waldbaden geht es um eben diese beiläufige, ungerichtete Aufmerksamkeit, die im Stadtleben oft in Vergessenheit gerät, weil wir dazu neigen, stets einem Masterplan hinterher zu jagen und zu funktionieren.

 

Im Wald kann sich jeder einfach treiben lassen, ohne dabei auch nur einem Menschen zu begegnen. Wenn man sich weiter als 500 Meter von der Waldgrenze befindet, ist es meist menschenleer. Wer möchte, kann sich sogar einmal darauf einlassen, einen Baum zu umarmen und diesen zu spüren. Der Baum steht einfach nur da und bietet Halt. Und das schönste: Wenn man das nächste Mal wiederkommt, steht er immer noch da, mit seiner ganz eigenen Ruhe und Gelassenheit. Bäume zu umarmen fühlt sich tatsächlich ungeahnt gut an, man darf beim ersten Mal auch gerne laut über die Absurdität der Situation lachen. Wem dies dann doch zu weit geht, genießt einfach nur die herrliche Natur und die frische Luft, um Geist und Körper etwas Gutes zu tun. 

Das wichtigste beim Waldbaden ist, auf sich selbst zu hören. Wem dies anfänglich schwer fällt, kann es mit einigen Übungen leicht erlernen:

  1. Wahrnehmen: Erlebe und genieße die Geräusche des Waldes, die Formen und Farben, die verschiedenen Gerüche. Lehn dich an einen Stamm, setz dich auf einen Baumstumpf. Berühre Rinde und Blätter. Wenn ein Bach deinen Weg kreuzt, schau aufs Wasser oder kühle deine Füße.
  2. Entschleunigung: Gehe langsam spazieren. Ziel, Dauer und Verlauf der Strecke sind nicht festgelegt. Lasse Dich einfach treiben und folge deinem inneren Kompass.
  3. Rasten: Lege Pausen ein. Komm in Ruhe im Wald an und nimm Dir bewusst Zeit für den Moment.
  4. Ausprobieren: Spaziere mit einem wachen Blick, sei offen, um vermeintlich Bekanntes neu zu entdecken. Such dir einen schönen Spazierstock, sammle Eicheln, Kastanien , Hölzer, Pilze und Gräser, studiere Formen und Farben.
  5. Sanfte Bewegungen: Balanciere über Stämme, geh über federndes Moos. Wenn du möchtest, kannst Du im Wald auch Yoga, Chi Gong oder Tai- Chi praktizieren - hier bist Du ungestört bei Dir selbst und kannst die Gedanken ziehen lassen. Durch sanfte Bewegungen bekommt dein Körper mehr Sauerstoff, die Luft, die du im Wald atmest, ist sauber und klar.
  6. Achtsamkeitstraining: Sei mit deiner Aufmerksamkeit im Moment, lass Deinen Alltag und seine Probleme draußen.